Skandale in der Lieferkette: Unternehmen müssen aufhören, sich selbst zu belügen

Langsam wird’s ja irgendwie langweilig beim ARD #Markencheck. Egal, ob Apfelsinen, Kommoden oder Jeans: Bei diversen Tests in den Kategorien albern bis lustig schneiden die untersuchten Unternehmen meist ganz passabel ab und liefern sich ein unterhaltsames Kopf-an-Kopf-Rennen. Bis es zum Thema „Fairness“ kommt: Erschreckende Bilder investigativer Vor-Ort-Recherchen zeigen unterdrückte Arbeiter in maroden Zulieferbetrieben in Asien oder Osteuropa, die verängstigt teils lebensbedrohliche Zustände über sich ergehen lassen.

Spätestens dann trägt es sämtliche Testkandidaten des Markenchecks aus der Kurve. Und die meist hilflosen und wenig glaubwürdigen Statements aus den jeweiligen Unternehmen machen die Situation nur noch schlimmer, wenn beteuert wird, dass man sich vom gezeigten Lieferanten längst getrennt habe.

Auch die Bilder in den darauffolgenden „Hart aber fair“-Sendungen zum Thema der Markenchecks gleichen sich: Ein Vertreter der Industrie oder des Handels ist um Erklärung bemüht und versucht die umfangreichen Initiativen der gescholtenen Branchen zu erläutern, mit deren Hilfe die Produktion der betreffenden Produkte unter fairen und nachhaltigen Bedingungen stattfinden soll. Unrecht hat er damit nicht, doch bringen tut’s offensichtlich auch nichts.

Aber woran liegt es, dass es Unternehmen gleich welcher Branche offensichtlich nicht schaffen, ihre eigene Lieferkette in den Griff zu bekommen? Müssen wir uns einfach eingestehen, dass die Beschaffungsketten mittlerweile zu komplex geworden sind? Sicher nicht, denn zu den bestürzenden Erkenntnissen, zu denen der WDR im Rahmen seiner Recherchen kommt, sollte ein Unternehmen bei gründlicher Analyse auch gelangen können. Tut es aber offensichtlich nicht.

Interne Versäumnisse

Der Fehler liegt folglich in den Strukturen der Unternehmen selbst. Hierbei unterstelle ich niemandem Mut- oder Böswilligkeit. Vielmehr haben die Unternehmen mit der Zeit perfekte Systeme geschaffen, mit denen sie sich selbst vorgaukeln, dass alles in bester Ordnung sei.

Einkaufsrichtlinien, Audits, Kontrollen – ob angekündigt oder nicht, ob selbst durchgeführt oder von Dritten – basieren immer auf der Grundannahme, dass das zugrundeliegende System funktioniert. Dass alles eigentlich in Ordnung ist und dass dies auf der Basis definierter Prozesse bestätigt und dokumentiert werden kann. Liegen keine Anzeichen für einen Fehler vor, kommt ein Haken dran, jede Abteilung hat ihren Job richtig gemacht. Zweifel sind unangebracht und politisch inkorrekt.

Eine investigative journalistische Recherche funktioniert hingegen ganz anders: Sie ignoriert Prozesse, geht vom Fehler aus, sucht ihn, bohrt nach, gibt sich mit Ergebnissen auf Papier nicht zufrieden. Und damit bewegt sie sich viel näher an den wirklichen Bedingungen komplexer internationaler Beschaffungsmärkte: Es geht um Geld, um viel Geld, und für viele Menschen dort leider auch um das pure Überleben. In einer solchen Situation entsteht erstaunliche Kreativität – im negativen Sinne – die bestehenden Kontrollsysteme zu umgehen und die für uns unverständliche Bereitschaft der Betroffenen, teils lebensbedrohliche Zustände zu akzeptieren. Denn für viele ist das immer noch die bessere Alternative.

Anstatt sich nun an Details oder Ungenauigkeiten der journalistischen Rechercheergebnisse aufzuhängen, sollten Unternehmen versuchen, daraus zu lernen. Sie sollten nicht nach der Bestätigung suchen, dass alles in Ordnung ist, sondern nach dem Fehler. Sie sollten sich dabei genau der gleichen investigativen Methoden bedienen, wie die Medien. Und vor allem sollten sie den eigenen, gesunden Menschenverstand nicht einfach ausschalten, wenn ein Lieferant aus Bangladesch alle geforderten Zertifikate und Audits vorweisen kann und gleichzeitig anbietet, zu aberwitzigen Konditionen zu produzieren.

Der Beitrag ist am 17. September 2014 in der Onlineausgabe des PR Report erschienen.