Donnerstag, 23. Januar 2020, 10:15 Uhr, Messe Berlin: Wir betreten die Sachsen-Halle und werden direkt gefragt, ob wir nicht einen Wein verkosten möchten. Etwas verdutzt lehnen wir ab, für Wein sei es uns noch zu früh. Wir schieben uns weiter durch die vollen Hallen und vorbei an Ständen, die regionale Biere, Schnaps, Würste, Käse und Schinken anpreisen. In Bayern werden wir schließlich von einer Blaskapelle und Frauen in Dirndln begrüßt. Unser erster Eindruck: Wer sich nach Lust und Laune durch die Republik schlemmen möchte, ist hier an der richtigen Stelle. Informationen oder gar Möglichkeit zur Diskussion? Das finden wir erst auf den zweiten Blick.

Getrennte Welten

Eigentlich schade. Denn das Rahmenprogramm der Grünen Woche thematisiert in Fachveranstaltungen vor allem den Wandel, den die Landwirtschaft gerade durchlebt, und welche Auswirkungen dieser zukünftig auf uns Menschen haben wird. Zwar animieren auch einige der Publikumsveranstaltungen die Messebesucher dazu, über Themen wie Nachhaltigkeit in der Lebensmittelherstellung nachzudenken, aber der Großteil ist eher auf Unterhaltung ausgerichtet. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft stellt als eine der wenigen in ihrer Halle „die Rolle des Verbrauchers und seine Einflussmöglichkeiten innerhalb der Wertschöpfungskette“ in den Fokus – die Besucher laufen aber meist eher uninteressiert an den Informationsständen und -tafeln vorbei zur nächsten Halle. Schließlich gibt es dort wieder Speis und Trank.

„Essen ist Identität“

Essen ist Kultur. Das spürt jeder Besucher auf der Grünen Woche sofort. Die Stände in den vielen Hallen verkaufen landestypische Gerichte und Getränke aus Thüringen über Kroatien bis Marokko und die Besucher schlemmen sich durch. Aufklärung über Herstellung, Nachhaltigkeit oder ähnliches? Fehlanzeige.  Aber gerade, weil Verantwortung und Nachhaltigkeit mit Lebensmitteln untrennbar miteinander einhergehen, sollten sie doch auch auf der Grünen Woche zusammenfinden.

Die Projektverantwortliche für die Startup-Days der Messe Berlin, Claudia Bach, sagt: „Essen ist Lebensstil, es ist Thema von Debatten der Öffentlichkeit, es ist Trend und Meinung in den sozialen Medien – es ist Identität.“ Sie hat nicht Unrecht. Denn ein Gespräch mit einem Landwirt am Stand der Landesvereinigung der Milchwirtschaft Niedersachsen öffnet uns die Augen. Essen und deren Produktion stiftet Identität. Was uns die Landwirtschaftsministerin vielleicht etwas holprig mit ihrer Kampagne #Dorfkinder näherbringen wollte: Die Landwirtschaft baut nicht nur unsere Nahrung an, sie trägt auch maßgeblich zur Infrastruktur auf dem Land bei. Wir entscheiden uns also mit einer verantwortungsvollen und vor allem regionalen Ernährung nicht nur für die Landwirtschaft in Deutschland, sondern auch für die Stärkung ländlicher Gebiete.

Die Grüne Woche als Brücke zwischen Konsum und Diskussion

Was aber hat die Grüne Woche mit all dem zu tun? Als internationale Leitmesse für Ernährung, Landwirtschaft und Gartenbau hat sie nicht nur die Verantwortung zu informieren, sondern auch die großartige Möglichkeit Brücken zu bauen. Das heißt auch: Konsum und Diskussion nicht nebeneinander herlaufen zu lassen, sondern miteinander fast schon zu konfrontieren. Es haben viele Podiumsdiskussionen stattgefunden, jedoch abseits der vollen Hallen der Bundesländer – warum diese Welten nicht zusammenbringen? Im Gespräch mit einigen Messebesuchern war nämlich schnell klar, dass auch sie eine Meinung zu verschiedensten Themen haben – eine Möglichkeit, diese zu äußern, bekommen sie auf der Grünen Woche jedoch (leider) nicht. Für eine nachhaltige Zukunft müssen wir aber alle gemeinsam einen Weg der Transformation gehen – und das geht nur, wenn wir auch miteinander reden.