1. PRSH-Forum des Vereins der Public Relations Studierenden Hannover e.V.
am 14. November 2014
Keynote von Matthias Biebl
Hinweis: Die Keynote wurde in freier Rede gehalten. Dieses Manuskript war hierfür die Vorlage.
Als wir vor genau einem Monat zusammensaßen, um den Ablauf des heutigen Forums zu besprechen, meinte ich zum Organisationsteam des PRSH, dass sie ja ganz schön mutig seien.
Normalerweise ist die Keynote doch verdienten Vertretern des Berufsstandes vorbehalten, die eigentlich eine Auszeichnung für ihr Lebenswerk verdient hätten. Dies wäre jetzt also die Gelegenheit, den altersweisen Ratschlägen eines Berufspraktikers zu lauschen, für den der Begriff ‚Wandel’ vor allem eines bedeutet: nämlich zurück zu blicken.
Stattdessen stehe nun ich vor euch.
Einer, der – zum Glück! – noch nicht mal die Hälfte seines beruflichen Weges hinter sich gebracht und der in den vergangenen Monaten viel Zeit damit verbracht hat, seinem privaten wie beruflichen Umfeld zu erklären, dass auch ein halbwegs vernünftiger Mensch die freiwillige Entscheidung treffen kann, sich aus einer hochdotierten Konzernposition in die unsichere Selbstständigkeit zu verabschieden. Ganz ohne Netz und doppelten Boden.
So gesehen stecke ich mitten drin, im Change, der ja Thema des heutigen Tages ist. Und vielleicht ist es auch genau das, was mich ein kleines Stück qualifiziert, laut über dieses Thema nachzudenken. Hoffentlich!
Furchterregendes Bild einer „digitalen Revolution“
Angesichts der heutigen Veranstaltung fallen mir die ersten Tage meines Journalistikstudiums ein. Unser Studiengang feierte damals sein zehnjähriges Bestehen und hatte allerlei Größen des Medienwesens eingeladen, um über den Wandel des Journalismus zu philosophieren.
Besonders in Erinnerung geblieben ist mir der Verleger Hubert Burda, der seine Eindrücke einer längeren USA-Reise reflektierte, von der er zahlreiche abenteuerliche und für einen Großteil des Publikums furchterregende Visionen zur Zukunft des Journalismus mitgebracht hatte.
Er zeichnete das verstörende Bild einer „digitalen Revolution“, in der Medien über das Internet direkt und unmittelbar mit ihren Lesern verbunden sind und im permanenten Dialog stehen. Er sprach von Reportern, die Schreiben, Fotografieren und Filmen gleichzeitig müssen. Und er prognostizierte verschwimmende Grenzen zwischen Medien und Privatleuten, die das Internet dazu nutzen, um eigene Inhalte zu publizieren.
Nun, aus heutiger Sicht mag man schmunzeln, aber damals, im Jahr 1993 gab es das Wort „Blogger“ noch längst nicht – es gab ja auch noch keine Blogs. Unter dem Stichwort Medienrevolution diskutierte man gerade die Tatsache, dass mit dem Focus soeben ein neues Nachrichtenmagazin erschienen war, das dem heiligen Spiegel Konkurrenz machen wollte. – Und ein amerikanischer Junge namens Mark Zuckerberg fieberte gerade seinem 10. Geburtstag entgegen, war also zu diesem Zeitpunkt noch nicht mal ein Teenager.
Wandel passiert nicht einfach so
Viel wichtiger aber, als die Visionen eines Hubert Burda ist aus heutiger Sicht die Tatsache, dass sich unter den aufmerksam lauschenden Studentinnen und Studenten einige befunden haben, die später einen wesentlichen Beitrag zur digitalen Revolution geleistet haben:
Einer zählte zu den Entwicklern von Zeit Online, einem der ersten und richtungweisendsten deutschen Onlinemedien. Ein anderer hat zusammen mit seinem Bruder in den USA das Online-Unternehmen TravelZoo gegründet und ist damit zu einem der berühmten ‚.com-Milliardäre’ geworden. Und wieder ein anderer wurde bekannt als Autor mehrerer Standwerke zum Thema Internet-Journalismus und erster Professor für dieses Thema im deutschsprachigen Raum.
Und das ist es, was wir daraus lernen können. Wandel ist nicht etwas, das einfach so passiert. Dem wir ausgeliefert sind. Wandel ist das, was Menschen auslösen, die nicht rückwärtsgewandt oder sicherheitsorientiert denken und handeln, sondern die den Drang verspüren, ihre eigenen Visionen und Ideen in die Realität umzusetzen. Wir können uns dem Wandel nicht entziehen, aber jeder entscheidet selbst, ob er in dieser Situation am Hebel sitzt, oder nur Betroffener ist.
Wandel ist das, was du daraus machst!
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Und genau das ist es, was mich auch stolz macht, heute hier sprechen zu dürfen: Ihr seid die künftige Generation unseres Berufsstandes. Ihr steckt – das habe ich erfahren – voller Ideen, Wünsche und Visionen. Und ich kann euch nur sagen: Lasst euch diese bloß nicht von den alten Hasen ausreden. Behandelt Erfahrung mit Respekt, lernt daraus, aber lasst euch nicht von eurem Weg abbringen.
Laufende Veränderungen und immer wieder dieselben Themen
Veränderungen hat es einerseits immer schon gegeben. Das ist ja unser heutiges Thema. Und erstaunlicher Weise denken wir immer, dass wir gerade mitten im größten Umbruch stecken, den die Weltgeschichte je gesehen hat. Das ist jetzt nicht anders als früher und ich muss euch vielleicht enttäuschen, wenn ich euch sage, dass es deutlich wichtigere und größere Veränderungen gab und solche auch wieder kommen werden.
Andererseits haben wir aber auch das Gefühl, gerade in unserer Branche immer wieder über die gleichen Themen zu reden. Dass sich in Wahrheit nichts bewegt, kein wirklicher Wandel stattfindet und wir uns seit Jahren vor allem damit beschäftigen, wie wir unsere Rolle definieren und unseren Beitrag zum Unternehmenserfolg vermitteln.
Vor diesen Fragen stehen wir auch jetzt. Richtig. Entscheidend ist jedoch, dass die gegenwärtigen Umbrüche aus meiner Sicht eine besondere Chance darstellen, unserem Berufsstand mehr Gewicht zu verleihen und der PR endlich den Stellenwert zu geben, den sie wirklich verdient. Und damit rede ich nicht von der alten Debatte des Verhältnisses zwischen Marketing und PR, sondern über unseren Beitrag als wesentliche Disziplin einer strategischen Unternehmensführung.
Lasst mich das erklären.
Veränderungen setzen Regeln außer Kraft
Die scheinbaren Gesetzmäßigkeiten von Sicherheit und individueller Absicherung scheinen außer Kraft gesetzt zu sein: Ganze Staaten drohen plötzlich Pleite zu gehen, Banken stürzen die gesamte Weltwirtschaft in eine schwere Krise, während sich die verantwortlichen Manager mit geradezu unersättlicher Gier bereichern. Und selbst wenn der eigene Arbeitgeber Spitzengewinne vermeldet, heißt das schon lange nicht mehr, dass der eigene Arbeitsplatz auch sicher ist.
Wie aus dem Nichts sind mächtige, weltumspannende Konzerne entstanden, die nichts produzieren – denen es vor allem um eines geht: In unsere Privatsphäre einzudringen, Informationen über uns zu sammeln und zu Geld zu machen.
Ethische Standards scheinen in einer globalisierten Welt sowieso häufig nur auf dem Papier zu existieren, und als Verbraucher kann man eigentlich nur resignieren, angesichts der katastrophalen Zustände, unter denen in vielen Teilen der Erde geschuftet wird, um unseren Konsumhunger zu stillen.
Es geht um Moral, nicht um Gesetze
Und wenn dann wieder ein Missstand in Bangladesch oder anderswo auf der Welt auffliegt, und irgendein Unternehmenssprecher mit hilflosen Beteuerungen zu erklären versucht, dass man sich schnellstmöglich vom Lieferanten x und vom Unternehmen y trennen werde, macht das die Sache irgendwie nur noch schlimmer.
All diese Entwicklungen werfen Fragen auf, die sich nicht mit Vorschriften, Gesetzen und dem Argument der Legalität alleine beantworten lassen. Hier geht es um Moral, Werte und die Frage der Legitimität.
Social Media verschiebt Machtverhältnisse
Gleichzeitig sehen wir dramatische Veränderungen in unserem Leben verursacht durch den viel beschworenen digitalen Wandel, Smartphones, Internet und Socal Media. Und noch immer fragen wir uns, ob uns diese Dinge nun befreien oder irgendwie zu Sklaven machen – Smartphones als subtilste Form der elektronischen Fessel, die man sich ganz freiwillig an- und nicht mehr aus der Hand legt.
Kommunikation verändert sich dramatisch. Erst unlängst hat Wolfgang Schäuble gesagt, bei Shitstorms handle es sich um keine Weiterentwicklung von Demokratie. Eine Aussage, über die sich vortrefflich streiten lässt.
Immerhin bekommen Einzelne plötzlich machtvolle Instrumente in die Hand, um öffentlichen Druck auf Unternehmen auszuüben. Die Aussicht darauf, dass der eigene Kommentar womöglich einen Proteststurm auslösen könnte, befreit das Individuum vom Gefühl der Ohnmacht angesichts macht- und datenhungriger Großkonzerne.
Verbraucher und NGOs sehen sich plötzlich auf Augenhöhe mit den Unternehmen. Die Öffentlichkeit der Konversation zwingt die Unternehmen dazu, sich mit Kritik öffentlich auseinanderzusetzen.
Unternehmen sind überfordert. Warum nur?
Dagegen helfen keine lustigen Werbe- oder Imagekampagnen. Unternehmen können sich nicht länger hinter den üblichen inhaltsleeren Floskeln verstecken. Wer es nicht schafft, einen glaubwürdigen und offenen Dialog zu führen, verliert massiv an Vertrauen. Und das – so zumindest die Ergebnisse des Edelman Trust Barometers – geht derzeit sehr vielen so.
Die meisten Unternehmen sind mit all diesen Entwicklungen aber heillos überfordert. Warum? Ganz einfach: Weil es sich eben nicht nur um technologische Innovationen handelt, die einzig durch eine neue IT-Infrastruktur oder mit neuen Marketing-Instrumenten beantwortet werden könnten.
Vielmehr sehen wir gerade grundlegende gesellschaftliche Veränderungen, die innerhalb der Unternehmen viele themen- und bereichsübergreifende Fragen aufwerfen und die auch auf einer übergeordneten Ebene beantwortet werden müssen. Es geht um die Legitimität unternehmerischen Handelns – und Unternehmen fangen in vielen Bereichen gerade an zu realisieren, dass sie ihr Verhalten ändern müssen. Und es geht um die Herausforderung, im gesellschaftlichen Diskurs eine Sprache zu finden, die die Menschen erreicht.
Wer – so frage ich euch – ist hierfür besser geeignet als der Unternehmensbereich, der qua Definition die Schnittstelle eines Unternehmens zur Gesellschaft darstellt?
PR ist in Zeiten des Content-Hypes besonders gefordert
Und was machen wir daraus? Wir schlucken dankbar die Brocken, die man uns hinwirft. Empfinden angesichts des aktuellen Hypes um Content Marketing Genugtuung darüber, dass endlich der Stellenwert unserer Arbeit erkannt worden ist.
Und wir merken dabei gar nicht, dass unsere Eitelkeit uns gleich in die nächste Falle treibt: Beim Content Marketing geht es nämlich darum, das journalistische Instrumentarium lediglich zu nutzen, um Bindung zu erhöhen und Kaufimpulse zu erzeugen. Doch wer blind dem Content-Hype folgt, setzt Vertrauen aufs Spiel.
Sich dieses zu verdienen, ist Aufgabe der PR. Und das gelingt nur, wenn wir unser Gegenüber als Subjekt begreifen, ihm mit Respekt begegnen und auf dessen Erwartungen und Bedürfnisse eingehen. Und zwar ganz unabhängig davon, ob diese Person zum potenziellen Käuferkreis gehört oder nicht.
PR bedeutet Respekt, nicht Manipulation!
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Erst kürzlich bloggte der amerikanische Journalistikprofessor Jeff Jarvis, dass er in „Native Advertising“ und „Brand Journalism“ eine ernsthafte Bedrohung für Vertrauen sieht. Wer mit „Marken“-Journalismus einen unabhängigen Journalismus vorgaukelt, der verlagert das bislang den Medien vorbehaltene Problem der Trennung von Anzeige und redaktionellem Teil plötzlich mitten in das eigene Unternehmen.
Juristisch kein Problem? Stimmt. Aber nicht vergessen: Hier geht’s um die Frage der Legitimität, nicht der Legalität.
Das Große Interesse an Content Marketing, Content Strategy, Storytelling, oder wie auch immer wir’s nennen wollen, halte ich für vollkommen berechtigt. Hier liegen viele Chancen, auch wenn der Euphorie an vielen Stellen Ernüchterung folgen wird.
Entscheidend ist jedoch die Rolle, die wir als PR in dieser Entwicklung einnehmen: Wir müssen darüber wachen, dass all die guten Ideen nicht zum Bumerang für die eigene Glaubwürdigkeit werden. Wer sich damit auseinandersetzt, wird zwangsläufig zu einer sehr differenzierten Herangehensweise gelangen, die sowohl Marketinginteressen als auch Reputationsrisiken berücksichtigt.
CEOs sehen Wert der Unternehmenskommunikation nicht
Selbst die CEOs großer Unternehmen haben die immense Bedeutung von Reputation erkannt und folgerichtig in einer kürzlich veröffentlichten Deloitte Studie Reputationskrisen als die größte Bedrohung für den Unternehmenserfolg identifiziert. Richtig so!
Vertrauen ist Grundlage und Schlüssel zu einem langfristigen Unternehmenserfolg. Kaum eine Studie, die diese Erkenntnis in jüngster Vergangenheit nicht untermauert hätte.
Schade nur, dass es nicht die Kommunikationsabteilungen sind, denen die CEOs gegenwärtig zutrauen, über das Vertrauen zu wachen: In einer gemeinsamen Studie von Universität Leipzig und Humboldt-Universität in Kooperation mit F.A.Z.-Institut und der Akademischen Gesellschaft für Unternehmensführung & Kommunikation zur „Unternehmenskommunikation aus der Perspektive des Top-Managements“ sehen die Unternehmenslenker nämlich die Hauptverantwortung und die größten Erfolge für eine wirkungsvolle Kommunikationsarbeit nicht etwa bei der Kommunikationsabteilung – sondern bei sich selbst.
Seit einem Jahr liegen die Ergebnisse der Studie nun auf dem Tisch. Die Autorin Muschda Sherzada wurde 2013 vom Bundesverband deutscher Pressesprecher dafür sogar mit dem Nachwuchspreis ausgezeichnet.
Doch passiert ist in der Folge: nichts. Keine Diskussion zum Berufsbild, keine Auseinandersetzung über mögliche Defizite in der Verknüpfung von Kommunikations- und Unternehmensstrategien.
PR: Kommunikations- UND Managementaufgabe!
Wann fangen wir endlich an, die vor uns liegenden Aufgaben und Chancen zu ergreifen und die strategische Rolle der Kommunikation und der Kommunikationsabteilungen in Unternehmen neu zu definieren? Und vor allem: dafür auch zu kämpfen?
Beharrlich fordert Microsoft Kommunikationschef Thomas Mickeleit, dass die Kommunikatoren den einheitlichen Auftritt eines Unternehmens über alle Zielgruppen und Kanäle hinweg orchestrieren müssen.
Das ist vollkommen richtig, aus meiner Sicht aber nur ein Teil der Aufgabe: Die eigentliche und spannende Chance liegt für die PR nun darin, nicht nur die Hoheit über die Koordination der Themen zu erlangen, sondern die Prozesse und Strukturen von Anfang an mitzugestalten und mitzubestimmen, die wesentlichen Einfluss auf Vertrauen und Reputation haben. Und diese gehen weit über kommunikative Bereiche hinaus.
Wenn es klar ist, dass Vertrauen ein schützenswertes Gut und einen wichtigen wie langfristigen Beitrag zum Unternehmenserfolg darstellt, dann dürfen andere Abteilungen nicht einfach schalten und walten wie sie wollen, dann müssen Rechtsabteilungen akzeptieren, dass nicht alles legitim sein muss, nur weil es legal ist.
Und dann müssen Einkaufs- und Entwicklungsabteilungen ganze Prozesse verändern, um die von Stakeholdern geforderte Transparenz herzustellen und ihre Lieferkette endlich in den Griff zu bekommen.
Und die Fäden hierfür sollten bei einer starken PR zusammenlaufen, die das Mandat hat, über das Vertrauen des Unternehmens zu wachen.
Naivität mancher Berater schadet der Branche
Diese Rolle wird aber niemandem freiwillig offeriert: Kein Bereich wird Verantwortung abgeben wollen und sich auf zusätzliche Abstimmungsschleifen einlassen. Und auch die CEOs selbst sind schlechte Verbündete, wie die Top-Entscheider Studie offenbart: Nur 35% der Befragten haben überhaupt ein Interesse, dass die Kommunikationsabteilung eine stärkere strategische Rolle im Unternehmen einnimmt.
Auch auf externe Unterstützung durch Agenturen darf man nur eingeschränkt hoffen: Viel zu verlockend ist häufig die Aussicht auf lukrative Budgets, weswegen einige der großen Marktteilnehmer eifrig an ihrer Repositionierung in Richtung Content Marketing geschraubt haben.
Eine weitere Hürde: Viele externe „Berater“ kennen die Abläufe und Prozesse in Unternehmen nicht. Diese sind aber entscheidend dafür, dass Change-Prozesse überhaupt gelingen können. Die Naivität, mit der hier manche auftreten, überrascht mich nicht nur, sie verärgert mich. Denn da wird viel Geld verbrannt und am Ende schadet es dem Ruf unserer ganzen Branche.
Jetzt: Diskussion zu Berufsbild und Qualifikationen
Hilfreich wäre jetzt eine Debatte, geführt von Wissenschaft und Berufsverbänden, über den notwendigen Beitrag einer strategisch aufgestellten und einflussreichen Kommunikationsabteilung, um mit den aktuellen und künftigen Reputationsherausforderungen umzugehen.
Hier geht es nicht nur um Inhalte, hier geht in erster Linie um Strukturen, Prozesse, Zuständigkeiten sowie Entscheidungs- und Richtlinienkompetenzen. Und es geht um die Qualifikationen, die notwendig sind, um so eine Rolle adäquat auszufüllen. Fundierte betriebswirtschaftliche Kenntnisse als unabdingbare Voraussetzung sind nur ein Thema.
Es gibt keinen Grund, warum der Kommunikationschef oder die Kommunikationschefin nicht entscheidenden Einfluss haben sollte, wenn es um weitreichende unternehmerische Entscheidungen geht. Grabenkämpfe mit anderen Abteilungen um die Verteilung von Budgets sind dabei vollkommen unnötig und kontraproduktiv. Denn am Ende klappt es nur, wenn die Bereiche zusammenarbeiten. Und Hand aufs Herz: Es geht doch nicht darum, wer das Geld verwaltet, sondern wer über den Einsatz das letzte Wort hat.
Einfluss auf grundlegende Entscheidungen sichern
Undenkbar? Falsch, denn auch die Juristen haben es geschafft, sich qua ihrer Funktion einen derartigen Einfluss zu sichern. Kein Vorstands- oder Geschäftsleitungsmeeting, in dem der Justiziar nicht auch Sitz und Stimme hätte. In zahlreichen Unternehmen ist das beim Kommunikationsverantwortlichen leider nicht der Fall.
In der Zeit, in der ich die Verantwortung für den Rechtsbereich eines großen Unternehmens hatte, durfte ich aber lernen, dass es bei der Juristerei meist nicht um richtig oder falsch, schwarz oder weiß geht. Vielmehr geht es um Risikoeinschätzungen und Abwägungen. Und da stelle ich mir die Frage: Wenn Reputation so wichtig ist, warum sollen dann juristische Risiken einen höheren Stellenwert besitzen als Reputationsrisiken?
Dass der Weg in die Vorstandsetagen lang und steinig sein wird, zeigt ein Blick in der Lebensläufe der gegenwärtigen Dax 30-Vorstände. Wir haben uns die Mühe gemacht, das einmal zu analysieren: Von rund 200 Personen hat nicht einmal eine Handvoll im Laufe der beruflichen Laufbahn eine Station in einer Kommunikationsabteilung absolviert. Von den CEOs – in der Regel innerhalb des Vorstands für Unternehmenskommunikation verantwortlich – kein einziger.
Warum kommen PR-Leute für Top-Positionen häufig nicht in Frage?
Auch das verdeutlicht, welche Rolle die Kommunikatoren gegenwärtig als mögliche Kandidaten für eine Position im Top-Management einnehmen bzw. nicht einnehmen. Wann haben wir zum letzten Mal gehört, dass ein hochrangiger Kommunikator in den Vorstand eines Konzerns berufen wurde – oder noch besser: ein eigenes Vorstandsressort für Kommunikation erhalten oder sogar den Vorstandsvorsitz übernommen hat?
Berufliche Wechsel finden meist innerhalb des Fachbereichs statt. Der Schritt von der Leitung der Unternehmenskommunikation in eine übergeordnete Managementposition erscheint selbst vielen Personalberatern als geradezu abwegig.
Raus aus der bequemen Nische – Verantwortung übernehmen!
Schuld tragen wir im Wesentlichen selbst: Denn es ist bequem, sich auf seine Spezialistenrolle zurückzuziehen, abseits der relevanten Unternehmenskennzahlen und des Erwartungsdrucks, unter dem gerade operative Abteilungen stehen. Gefordert ist die tiefe Kenntnis betriebswirtschaftlicher Zusammenhänge, das Verständnis der Kennzahlen und die Bereitschaft, sich als unternehmerisch denkender Ansprechpartner einzubringen und vor allem: zu positionieren. Das gelingt nicht, wenn der Kommunikator lediglich als Schatten und Spin-Doctor des CEOs auftritt.
Den Personalern ist es in jüngerer Vergangenheit sehr gut gelungen, sich einen festen Platz in den Vorstandsetagen zu erarbeiten. Davon können wir lernen. Und warum sollten das nicht auch die Kommunikatoren schaffen? Die gute Nachricht: Das Vorstandsressort dafür gibt es längst. Denn eigentlich gibt es keinen Grund, warum der Weg eines CEOs nicht standardmäßig über die Station in der Kommunikationsabteilung laufen sollte.
Der berufliche Weg eines CEOs sollte über die Kommunikationsabteilung führen.
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Dort befindet sich das intellektuelle und Epizentrum des Unternehmens und nirgendwo sonst denkt man so in großen gesellschaftlichen und politischen Zusammenhängen, die für das erfolgreiche Führen eines Unternehmens so entscheidend geworden sind.
Gerade in diesen Zeiten, wo die Veränderungen grundlegend und gesellschaftlicher Natur sind.
Doch ich bin da sehr zuversichtlich. Aus drei Gründen:
Erstens: Ich selbst hatte das Glück, in einem großen Unternehmen eine übergeordnete Rolle dieser Art einnehmen zu können und habe erlebt, dass die gemeinsame strategische Ausrichtung unterschiedlichster Unternehmensbereiche auf Vertrauen und Reputation funktioniert. Ja, sie wird geradezu dankbar angenommen.
Zweitens: Unternehmen, die die gegenwärtigen gesellschaftlichen Veränderungen nicht erkennen oder ignorieren und nicht adäquat damit umgehen, werden auf lange Sicht verlieren.
Und drittens: Der Blick hier in den Saal und die vielen Gespräche, die wir im Vorfeld der Veranstaltung geführt haben, zeigen mir, dass hier eine Generation in den Startlöchern steht, die hungrig, motiviert und talentiert genug ist, um diese Chancen zu ergreifen.
Wie gesagt: Wandel passiert. Aber er passiert nicht einfach so. Wandel ist das, was ihr daraus macht.
Vielen Dank!